Salonorgeln von Davrainville

Im Frühjahr 2022 konnte ich eine der seltenen Salonorgeln des berühmten Orgelbauers Pierre-Honoré Davrainville (1784 – 1866) erwerben. Das Werk ist graviert mit der Nummer 317, Baujahr 1825, in Paris. Die Walzenorgel hat 26 Tonstufen und entsprechend 26 gedackte sogenannte Wiener Flöten (Holz). Eingebaut ist die Orgel in einen Biedermeierschrank mit den Massen 90/98/45 cm (BHT). Das Gehäuse ist oben abgedeckt mit einer Marmorplatte, an der Vorderseite sind feuervergoldete Bronzeapplikationen vorhanden. Der Antrieb erfolgt durch ein Federwerk mit Kettenzug. Zur Bedienung gibt es drei Messingknöpfe: 1. Start/Stop-Knopf auf der linken Seite, einen Knopf, um die Walze auf die linke Seite zu schieben, sowie einen Wähler, um die Anzahl Walzenumdrehungen pro Musikstück zu wählen.
Zur Orgel gehören drei Walzen mit einer Länge von 47 cm und helicoidaler Spurführung. Zwei davon sind in einer Schublade im Sockel des Schrankes untergebracht. Die Walze No. 1 spielt sechs Melodien à zwei Umdrehungen, die beiden anderen Walzen spielen je drei Melodien à vier Umdrehungen. Es ist eine originale und ausführliche, handgeschriebene Melodienliste, sowie eine Bedienungsanleitung vorhanden, beides wohl zusammen mit der Orgel ausgeliefert. Eine zweite, einfachere aber besser leserliche Melodienliste wurde vor etwa 100 Jahren erstellt.
Die gesamte Mechanik dieser Salonorgel, die Faltenbälge, die Windlade, die Ventile und natürlich die Wiener Flöten sind ursprünglich und wurden nie berührt. Das Instrument befindet sich in einem bemerkenswerten originalen Erhaltungszustand und ist seit dem Ankauf bei der Firma Jacques-Honoré Davrainville in der zweiten Hälfte der 1820er Jahre im Besitz der gleichen Familie geblieben.

Kurz drauf wurde mir eine weitere Salonorgel von Davrainville angeboten. Da ein solcher Glücksfall wohl nicht mehr eintrifft, musste ich nicht lange überlegen und erwarb auch diese Orgel. Es handelt sich um eine Tischorgel mit einer Uhr. Das furnierte Gehäuse ist mit zahlreichen feuervergoldeten Bronzeapplikationen versehen und hat die Masse 94/65/42 cm (BHT). Diese Orgel trägt die Nummer 73 und wurde 1818 gebaut, wohl auch von Pierre-Honoré Davrainville (Sohn). Das feine Uhrwerk hat eine Laufzeit von sieben Tagen. Um die Uhr aufzuziehen, ist die Vorderfront der Orgel zu entfernen, der Aufzug erfolgt dann mit zwei Hebeln, welche hin und her bewegt werden müssen, ähnlich wie die Ratschenaufzüge der späteren Walzenspieldosen. Das emaillierte Zifferblatt ist mit türkischen Ziffern versehen. Ein Hersteller des Uhrwerkes ist nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass diese Orgel für einen türkischen Aristokraten gebaut wurde, laut aufgeklebter Etikette im Innern wahrscheinlich über den Händler Jean Mazzi in Marseille.
Das Orgelwerk hat 25 Tonstufen und ist mit 50 Zinnpfeifen besetzt. Eine Registerschaltung gibt es nicht. Es ist eine 58 cm lange, helicoidal gestiftete Walze mit einer Melodie auf sechs Umdrehungen dabei. Der Antrieb erfolgt über zwei Federwerke mit Kettenzug. Ausgelöst werden kann das Orgelwerk jeweils zur vollen Stunde über die Uhr oder von Hand mit einem Drehknopf an der linken Seite des Gehäuses.
Vor einigen Jahren wurde diese Salonorgel in der Schweiz restauriert. Sie steht nun seit April dieses Jahres in unserem Museum in Ungarn neben der anderen Salonorgel von Davrainville.
Davrainville in Paris war eine der bedeutensten Orgelbaufirmen ihrer Zeit, vergleichbar mit Friedrich Kaufmann in Dresden. Je nach Quelle werden die einzelnen Mitglieder der Familie Davrainville jedoch mit anderen Vornamen genannt. Es ist die Rede von Jacques-Honoré dem Vater, Pierre-Honoré dem Sohn, sowie Nicholas Davrainville, wohl der Sohn von Pierre-Honoré. Später übernahmen die Nachfolger Ernest Kelsen und dessen Sohn Pierre Ernest die Firma. Als Hauptadresse wird über die gesamte Schaffensperiode Rue Basse-du-Rempart 14 und 19, Paris, angeführt. Aus anderen Quellen geht hervor, dass Vater und Sohn beide den Vornamen Jean-Honoré trugen. Nicholas Davrainville war in der Rue Saint-Martin 151 (um 1820) und auch in der Rue Basse-du-Rempart 14 und 19 verzeichnet. Auch er galt als einer der berühmtesten Uhren-, Musikinstrumenten- und Orgelbauer seiner Zeit. Sein frühestes bekanntes Werk ist mit der Nummer 7 und dem Datum 1813 signiert, sein Letztes trägt die Nummer 498 und ist datiert von 1838.
Zweifellos gehörte die Familie Davrainville im Zeitraum von etwa 1775 bis 1850 zu den erfolgreichsten Erbauern mechanischer Orgeln in Frankreich. Die überwiegende Zahl der Kunden kam aus der europäischen Aristokratie und dem Adel. Pierre-Honoré Davrainville erweiterte das Geschäft seines Vaters erheblich. Man geht davon aus, dass die Firma insgesamt etwa 900 Orgeln gebaut hat. Alle Arbeiten sind auf dem Werk nummeriert und mit dem Baujahr versehen.
Man schätzt, dass aus der Gesamtheit der gebauten Orgeln heute kaum mehr als etwa 30 Stück erhalten sind. Gut die Hälfte davon befinden sich in den bekannten Museen, nämlich:

Musée de Musique, Paris, 1 Exemplar,
Conservatoire National des Arts et Métiers, Paris, 1 Exemplar,
Musée des Arts et Décoratifs, Paris, 1 Exemplar,
Patrimonio Nacional de l’Escorial, Madrid, 1 Exemplar,
Museum Spelklok, Utrecht, 4 Exemplare, davon ein baugleiches Instrument wie unsere Orgel im Biedermeierschrank, die Nr. 290, Baujahr 1824,
Musée des Instruments de Musique, Brüssel, 4 Exemplare,
Murtogh Guiness Collection, Morristown, NJ, 2 Exemplare,
Ermitage St. Petersburg, 1 Exemplar, genannt Uhr von Araktsjeev, gebaut nach dem Hinschied von Zar Alexander I., 1825,
Musée des Instruments de Musique à Mécaniques, Les Gets, 2 Exemplare.

Die restlichen Orgeln befinden sich in Privatmuseen und Privatsammlungen. Zur Zeit ist Robert Hough, Mitglied der Musical Box Society of GB, daran, ein Register mit möglichst allen weltweit noch vorhandenen Orgeln von Davrainville zu erstellen.
Weiter hat Bernard Pin unter dem Titel „Recherches sur les instruments de musique mécaniques et les automates“, umfangreiche Informationen über die Orgelbauerdynastie Davrainville zusammen getragen.
Im Résumé kann man Folgendes lesen:

„Das Thema dieser Arbeit mit dem Titel „Forschung über mechanische Musikinstrumente und Automaten“ umfasst im Wesentlichen unveröffentlichte biografische Arbeiten über Pierre-Honoré Davrainville (1784–1866) sowie über seinen Nachfolger Jean Kelsen (1795–1844). und Pierre Ernest (1826–1910), der Sohn des letzteren. Um diese historischen Meilensteine ​​ins rechte Licht zu rücken, haben wir sie mit verschiedenen Studien begleitet, die sich beispielsweise der geografischen und familiären Herkunft der betroffenen Personen widmen; zu ihrem sozialen Umfeld; der Platz, den sie unter ihren französischen und ausländischen Kollegen einnahmen; die von ihnen verwendeten Techniken oder sogar die Bedeutung ihrer Produktionsmittel. Was die Schöpfungen von Pierre-Honoré Davrainville betrifft, haben wir einen weitgehend illustrierten Katalog zusammengestellt, der auf den etwa fünfzig Instrumenten basiert, die uns erwähnt wurden oder die wir untersuchen konnten. Diese Arbeit ermöglichte es uns unter anderem, den Fortschritt seiner Herstellung sowie deren Anpassung an die Entwicklung der Nachfrage grafisch darzustellen. Darüber hinaus haben wir eine Liste von Melodien zusammengestellt, die auf seinen Zylindern notiert wurden, in der Hoffnung, dass dies für Musikwissenschaftler nützlich sein könnte.“
Eine Bezugsquelle habe ich nicht gefunden. Diesbezügliche Informationen nehme ich gerne entgegen.
Wir sind natürlich stolz darauf, in unserem kleinen Privatmuseum zwei Exemplare aus dieser berühmten Orgelbauerdynastie in hervorragendem Zustand zu präsentieren und sie – nicht allen – aber allen speziell interessierten Besuchern vorzuspielen.