Geschichte

Mechanische Musikinstrumente, Bedeutung, Funktionsweise und soziale Stellung

Mechanische Musikinstrumente (auch selbstspielende Musikinstrumente, Musikautomaten) sind Musikinstrumente, bei denen die Tonfolge selbsttätig durch einen Toninformationsträger gesteuert wird. Die Mehrzahl der mechanischen Musikinstrumente reproduziert die Musik ohne Einwirkungsmöglichkeiten des Menschen. Mechanische Musikinstrumente bestehen aus drei Teilen: Dem klingenden Teil (eigentliches Instrument), dem Toninformationsträger und dem Antrieb.

Als Toninformationsträger diente in früheren Jahrhunderten eine Stiftwalze, die sich drehte und über Hebel zum Beispiel die Ventile einer Orgel öffnete und schloss, oder die Hämmer eines Klaviers betätigte. Um etwa 1900 wurde die Stiftwalze bei fast allen mechanischen Musikinstrumenten durch Lochstreifen in Form von gelochten Papierrollen oder gefalteten Kartonnoten verdrängt, welche wesentlich einfacher herzustellen waren und ein unbeschränktes Musikrepertoire zuliessen. Zudem war die Länge der Musikstücke frei wählbar, wobei bei einer Walze das Musikstück immer dem Umfang der Walze angepasst werden musste.

Die Spieldose, für viele das mechanische Musikinstrument schlechthin, wird auch heute noch durch eine Stiftwalze oder eine Blechplatte mit gestanzten Stiften gesteuert. 1792 vom Genfer Antoine Favre erfunden, ist die Spieldose das einzige mechanische Musikinstrument, welches im Gegensatz zu allen andern Instrumenten nur zum Zweck des selbsttätigen Spielens entwickelt wurde. Mit Ausnahme einer kleinen Produktion in Österreich und Tschechien, wurden sämtliche Walzenspieldosen nur in Genf und im Schweizer Jura produziert und in die ganze Welt exportiert.

Die Entwicklung der mechanischen Musikinstrumente entstand aus dem uralten Bedürfnis der Menschen, Musik zu hören. In Zeiten ohne Radio, Internet und CD, war das Hören von Musik ein Privileg der adeligen und bürgerlichen Leute. Wer Musik hören wollte, musste selbst ein Instrument spielen oder sich in einen Konzertsaal oder ein Opernhaus begeben, sofern er es sich leisten konnte. Zu den ältesten noch erhaltenen mechanischen Musikinstrumenten gehören die Glockenspiele alter Kirchen, die sich bis ins 14. Jh. Zurückverfolgen lassen. Im 18. Jh. erlebte die Flötenuhr ihre Blüte und hielt Einzug in begüterte Bürgerhäuser. Für solche Flötenuhren schufen berühmte Komponisten ihrer Zeit wie Haydn, Mozart und Beethoven spezielle Kompositionen. Flötenuhren mit Kompositionen von Haydn sind bis heute erhalten geblieben.

Einen starken Aufschwung erlebten die mechanischen Musikinstrumente in der zweiten Hälfte des 19. Jh. als die industrielle Fertigung einsetzte, zunächst in kleinen Handwerksbetrieben, später in grösseren Fabriken. Die Instrumente waren meist für Gasthäuser bestimmt oder als Strasseninstrumente (Drehorgeln, Strassenklaviere) zur Unterhaltung des Volkes konzipiert. Später hielten die grossen Karussellorgeln Einzug auf den Rummelplätzen. Nebst der Uhrenindustrie etablierte sich im Schwarzwald, vor allem in Waldkirch, eine namhafte Orchestrion- und Karussellorgel-Industrie.

Ebenso wurden gegen Ende des 19. Jh. in grosser Zahl selbstspielende Klaviere hergestellt, welche in den USA Pianolas genannt wurden. Diese Bezeichnung etablierte sich dann auch in Europa. Die Steuerung erfolgte pneumatisch über gelochte Papierrollen. Der Höhepunkt der mechanischen Musik schlechthin war die Entwicklung von sogenannten Reproduktionsklavieren in den 20-er Jahren des 20. Jh. Diese Instrumente waren in der Lage, von Pianisten eingespielte Musikstücke weitestgehend authentisch wiederzugeben, d.h. mit allen Nuancierungen, welcher der Pianist in sein Klavierspiel legte. Firmen wie Hupfeld in Leipzig, Welte in Freiburg und andere, übertrafen sich mit der Einspielung von Konzertrollen der berühmtesten Pianisten wie Paderewski, Prokofieff, Horowitz, Rubinstein und viele mehr. Der Einbau der entsprechenden Pneumatiksysteme erfolgte in Pianos und Flügel der weltbekannten Marken wie Steinway, Bösendorfer und andere. Heute noch werden originale Reproduktionsrollen zur Ausbildung der Musikstudenten an den Konservatorien der ganzen Welt verwendet.

An der Wende zum 20. Jh. etablierte sich eine Industrie zur millionenfachen Herstellung selbstspielender Musikinstrumente für den Privatgebrauch in grossen Fabriken mit mehreren Tausend Angestellten, vor allem in Leipzig. Zu den am weitesten verbreiteten Instrumenten gehörten Plattenspieldosen (welche den Niedergang der schweizerischen Walzenspieldosen einläuteten), kleine und billige Tischdrehorgeln (Organetten), Zithern, und vieles mehr. Kurz nach der Jahrhundertwende wurden als Gasthausinstrumente sogar selbstspielende Violinen, Harfen und Banjos hergestellt. Später hielten Orchestrione und riesige Tanzorgeln Einzug in die Tanzetablissements und verdrängten dort weitgehend die Musiker.

Der Niedergang dieser Industrie begann bereits zu Beginn des 20. Jh. als Folge der Entwicklung der Phonographen und Grammophone, später der Verbreitung des Radios. Gegen Ende der 20-er Jahre gab es kaum noch grössere Hersteller von mechanischen Musikinstrumenten. Heute haben die mechanischen Musikinstrumente ihren Platz gefunden in Museen und privaten Sammlungen als kleiner aber interessanter Teil der kulturgeschichtlichen Entwicklung. Seit etwa drei Jahrzehnten werden wieder vermehrt solche Instrumente hergestellt, teils auf traditioneller Basis, teils mit modernen, elektronisch gesteuerten Toninformationsträgern.

Hallo! Ich freue mich für einen Kommentar!